Perdita Wünsch und Thomas Kegel
Im kirchlichen Ehrenamt überschneiden sich Glaubensfragen und Geistesgaben mit den professionellen Anforderungen einer Organisation. Wie kann die Kirche zwischen Gaben-und Aufgabenorientierung vermitteln und den Ehrenamtlichen bei der Entfaltung des eigenen Engagements zur Seite stehen?
Aus der Perspektive der christlichen Theologie ist die individuelle Begabung des Menschen etwas von Gott gegebenes.
Zentral für alle Christinnen und Christen ist der Glaube an Jesus Christus und damit an (den menschgewordenen) Gott. Durch diesen Glauben treten wir in Beziehung zu Gott und zu allen anderen Christinnen und Christen und darüber hinaus zu unseren (anders- oder nichtglaubenden) Mitmenschen.
Auf dieser Glaubensgrundlage gestalten wir Christinnen und Christen unser Leben in unserer Gesellschaft. Durch unser Tun und Lassen bauen wir unsere Gemeinde und die Kirche, die Stadt und unser demokratisches Gemeinwesen.
Als Menschen müssen wir unser Leben, unsere Lebensbedingungen und Lebensmittel ständig (re-)produzieren. Einerseits unterliegen wir dabei den gesellschaftlichen Verhältnissen, andererseits gestalten wir diese ständig mit.
Um das Leben zu gestalten, haben wir Menschen vielfältige Fähigkeiten und Fertigkeiten. Diese entwickeln wir durch Schule und Ausbildung, Studium und Beruf und in unseren täglichen Lebensvollzügen. Als Christinnen und Christen – und somit als Geschöpfe Gottes – haben wir aber auch Gaben/Charismen verliehen bekommen, die uns befähigen können, unseren Glauben im Alltag zu leben und als Teil der (christlichen) Gemeinde zu wirken (mehr zu Gaben und Charismen weiter unten). Mit diesen Gaben sind wir neben dem Glauben mit Gottes gutem Geist verbunden, im wahren Wortsinn möglicherweise sogar „begeistert“. Dies erleben wir im Alltag, wenn wir von einer Sache begeistert sind oder etwas mit besonderer Begeisterung tun, dann geht uns diese Tätigkeit leichter von der Hand. Erlebt wird eine besondere Motivation.
Martin Luther setzte der katholischen Theologie ein Priestertum aller Getauften entgegen. Dabei dachte er auch an eine Gemeinde, in der die Zuständigkeiten nach Gaben und Kompetenzen differenziert sind.
In der Zeit nach dem Tod und der Auferstehung Jesu gab es anfänglich christliche Ortsgemeinden, die über Judäa hinaus über den gesamten östlichen Mittelmeerraum verstreut waren. Die Reisen des Apostels Paulus erzählen davon. Daraus haben sich über die Jahrhunderte bis heute die Kirchen als große Institutionen entwickelt. Auch in diesen klerikalen, politischen und wirtschaftlichen Großorganisationen bilden die Kirchengemeinden die Basis. Diese sind neben den Werken der Diakonie der Ort, in dem der Glauben gelebt wird und in dem das freiwillige Engagement und Ehrenamt zutage tritt.
Das biblische Bild für christliche Gemeinden (das auch auf die Kirchengemeinde der Gegenwart übertragbar ist) findet sich im Korintherbrief des Paulus (1. Kor. 12,12f): Es ist das Bild der christlichen Gemeinde von dem einen Leib und dessen vielen Gliedern. Die Glieder des Leibes haben verschiedene, sich insgesamt ergänzende Aufgaben und Funktionen – sie sind aber von gleicher geistlicher Bedeutsamkeit. Im Korintherbrief findet sich die Vorstellung von Charismen und Gaben, historisch gesehen haben sich daraus die Ämter und die Kirche als Institution gebildet. In den christlichen Frühzeiten hatten alle Gemeindemitglieder ihre Brotberufe und betrieben die Tätigkeiten in den Gemeinden – von der Verkündigung über die Gemeindeleitung bis zur Diakonie – nebenher. In der heutigen Zeit würde man dazu „Ehrenamt“ oder „freiwilliges Engagement“ sagen.
Die Gestaltung von Gottesdiensten und die Gemeindeleitung lagen in den Händen von Personen, die mit entsprechenden Gaben und Charismen gesegnet waren. Im Laufe der Jahrhunderte entstand aus der Verbindung von Funktion und Weihung schließlich eine geistliche Hierarchie von Pfarrern und Bischöfen bis hin zum Papst als Bischof von Rom, die auf das Engste mit dem Machtapparat weltlicher Herrschaft verbunden war. Im Zuge der Reformation setzte Martin Luther dem römischen Wissensmonopol des Klerus eine Lehre vom allgemeinen Priestertum aller Getauften entgegen. Nach Luther kommt allen Getauften demnach die gleiche geistliche Würde zu. „Mit dieser geistlichen Würdigung sind alle Getauften zugleich in den Dienst gestellt bzw. beauftragt, in ihrem Leben, in Wort und Tat das Evangelium zu bezeugen. Damit sich die Christen in der öffentlichen Verkündigung diese Beauftragung nicht streitig machen (Luther 1520, 13–17), gilt es, das Amt der öffentlichen Verkündigung funktional, d. h. nach Gesichtspunkten der Begabung, Ausbildung und Kompetenz zu ordnen. Hierzu gehört insbesondere die Berufung bzw. Beauftragung bestimmter Personen, die stellvertretend für alle Getauften die Aufgaben der öffentlichen Verkündigung übernehmen (‚rite vocatus‘, CA 14)“.1
Aufgaben der Verkündigung müssen also durch Beauftragung von geeigneten Personen umgesetzt und erfüllt werden. Dies gilt bis heute für PastorInnen, für DiakonInnen, aber auch für ehrenamtliche PrädikantInnen und LektorInnen, die jeweils funktionsspezifische Beauftragungen erhalten. Daneben gibt es eine Vielzahl von Ehrenämtern und freiwilligen Engagements, die nicht unmittelbar etwas mit Verkündigung zu tun haben. Viele Menschen engagieren sich, damit „der Betrieb weiterläuft“, sind aktiv im Management der Gemeinde, in Kleiderkammern, in Kindertagesstätten oder für andere gemeindediakonische Tätigkeiten. Alle diese Engagierten und deren vielfältige Aufgaben halten als Dienstgemeinschaft den „Betrieb Kirchengemeinde“ aufrecht. Im Artikel 1 der Kirchenverfassung der Ev.-Luth. Landeskirche Hannover heißt es dazu: „Ehrenamtlicher und beruflicher Dienst sind in einer Dienstgemeinschaft aufeinander bezogen. Beide dienen mit gleichem Rang auf je eigene Weise dem Aufbau der Gemeinde Jesu Christi. Die unterschiedlichen Gaben und Fähigkeiten, die einzelnen Christen und Christinnen gegeben sind, stehen nicht in Konkurrenz zueinander, sondern ergänzen und bereichern sich gegenseitig und sind Ausdruck des Reichtums, durch den die Gemeinde Jesu erbaut wird.“2 Das ist eine moderne, also der Zeit angemessene Neuformulierung der paulinischen Idee vom einen Leib mit den vielen Gliedern.
„Alle Getauften sind berufen, am Bau der Kirche Jesu Christi mitzuwirken; alle sind gewürdigt, als Priester zu leben und sich einzubringen. Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat ist nicht nur Aufgabe der Pfarrerinnen und Pfarrer, der ‚Profis‘, sondern Aufgabe jedes Christen und jeder Christin. Ehrenamtliche machen somit durch ihr Engagement das Allgemeine Priestertum sinnfällig. Dabei sind sie nur in einem funktionalen Sinn Pfarrerinnen und Pfarrern zugeordnet, insofern diese gemeinsam mit dem Leitungsgremium die Gemeindearbeit zu koordinieren haben. Keinesfalls sind sie Helfer oder Helferin von Pfarrer oder Pfarrerin.“3
In allen aufeinander bezogenen Funktionen und Aufgaben findet sich der Bezug auf den Aufbau der Kirche Jesu Christi – also eine zutiefst in jede kirchliche Tätigkeit eingewobene geistliche Dimension. Deshalb darf eigentlich nicht nur danach gefragt werden, wer denn für die Erfüllung einer bestimmten Aufgabe in einer Kirchengemeinde fachlich geeignet ist. Vielmehr ist auch nach den geistlichen Interessen und Motiven der zum Engagement bereiten Christinnen und Christen zu fragen!
Die Aufgaben, mit denen sich Gemeindemitglieder heute beschäftigen müssen, ähneln nicht selten denen eines wirtschaftlichen Großbetriebes. Bei der dadurch bedingten Professionalisierung des Ehrenamtes sollte jedoch die Frage nach der religiösen Dimension einer Aufgabe nicht zu kurz kommen.
Kirche und Kirchengemeinden stehen heute unter starkem ökonomischen Druck. Außerdem unterliegen sie gesellschaftlich bedingten Zwängen wie der demografischen Entwicklung, der zunehmenden Mobilität der Beschäftigten oder den Veränderungen innerhalb soziokultureller Milieus. Besondere Auswirkungen auf die Kirchen haben die zunehmende Säkularisierung der Gesellschaft, die zu Kirchenaustritten führt. Durch diese gesellschaftlichen Veränderungen wird aktuell ein immerwährender Handlungsdruck erzeugt, der eine starke, auf alltägliche Dinge gerichtete Aufgabenorientierung in den Kirchengemeinden erzwingt. Gerade im Alltag der Kirchengemeinden ist Aufgabenerfüllung und Management gefordert, vor allem bei den Kirchengemeindevorständen. Es geht um große Aufgaben, die von den ehrenamtlichen Kirchenvorständen übernommen werden: die Verwaltung von großen Gebäudekomplexen, Personalmanagement, Verantwortung für Geld und Finanzfragen, teilweise in mehrstelligem Millionenumfang. Manchmal erinnern diese Aufgaben eher an die Leitung eines großen Wirtschaftsbetriebes.
Die Anforderungen an Ehrenamtliche steigen, dies zeigt die Sonderauswertung des dritten Freiwilligensurveys von 2009 für die evangelische Kirche. Aus Sicht der freiwillig und ehrenamtlich Engagierten sind die inhaltlichen Anforderungen gestiegen, Fachwissen sei in ihrer Tätigkeit voll und ganz wichtig.4 Die Kirchen reagieren darauf folgerichtig mit der Ausweitung von Angeboten zur Fort- und Weiterbildung, ebenso wird die Begleitung von Ehrenamtlichen durch hauptamtliches Personal intensiviert. Durch die in mehr und mehr Bereichen eingebundene Ehrenamtskoordination gelingt es unseren Erfahrungen nach immer besser, für die jeweiligen Aufgaben geeignete Personen zu finden. Es zeigt sich, dass dadurch die „Personalrekrutierung“ besser geworden ist. So werden beispielsweise gezielt Personen angesprochen, die sich durch ihre berufliche Tätigkeit in Finanzmanagement auskennen. So kommen Banker in Kirchengemeinden in eine Funktion als Ehrenamtliche … in der Gemeindeleitung. Oder es werden für die Öffentlichkeitsarbeit mittels Internet entsprechend qualifizierte ehrenamtliche Webdesigner gewonnen.
Zu beobachten ist, dass das freiwillige Engagement immer professioneller wird. Viele Tätigkeiten sind heute mit einer entsprechenden Qualifizierung verbunden. Damit verschwimmen die Grenzen zwischen beruflicher Arbeit und freiwilligem Engagement. Dies führt unter anderem zu Rollenkonflikten und Problemen des Selbstverständnisses bei den Berufstätigen.
Sei es als Mitglied des Kirchengemeindevorstandes, sei es auf den Ebenen der praktischen Umsetzung, zum Beispiel in einer ehrenamtlichen pädagogischen Aufgabe oder einem gemeindediakonischen Ehrenamt – es geht meist darum, diese Aufgaben so gut wie möglich zu erfüllen. Besonders wichtig ist es deshalb, dass die religiöse Dimension der betreffenden Aufgabe ernst genommen wird.
Denn: Kirche und Religion sind einer der großen Engagementbereiche in Deutschland – neben Sport, Sozialem, Umwelt- und Naturschutz. Laut Freiwilligensurvey 2009 engagierten sich in der evangelischen Kirche rund 2,2 Millionen Menschen. Gleichzeitig wies die Untersuchung nach, dass der Anteil der Freiwilligen, die sich ihrer Kirche stark verbunden fühlen, deutlich gewachsen ist. Ebenso stärker geworden ist die „Gemeinwohlorientierung“ der Ehrenamtlichen in der Kirche. Menschen engagieren sich verstärkt, um anderen Menschen zu helfen. Deutlich wird: „Die evangelische Kirche wird offensichtlich als eine zentrale, ethische Instanz des sozialen und öffentlichen Lebens wahrgenommen – und geschätzt.“5
Kirchengemeinden können neben die Aufgabenorientierung die geistliche Dimension der Gabenorientierung setzen. Diese kann von den Engagierten etwa in Gabenseminaren für das eigene Handeln erschlossen werden.
Die oben aufgezeigte Tendenz zur „Aufgabenorientierung“ ist notwendig, aber sehr einseitig. Ehrenamtliche engagieren sich in der Kirche, weil für sie die Kirche wichtig ist, weil sie dort ihre „geistliche Heimat“ finden wollen und wohl auch, weil sie sich „gerufen fühlen“. Diese Motivation muss ernst genommen werden. Kirchengemeinden müssen also einerseits auf möglichst kompetente Aufgabenerfüllung achten und andererseits die geistliche Dimension der Begabungen ihrer Mitglieder und anderer in den Blick nehmen. Dies bedeutet nach den Menschen zu suchen, die für bestimmte Aufgaben die passenden Gaben haben – jenseits ihres Wissens, ihrer Fähigkeiten und Fertigkeiten und ihrer Kompetenz. So kommen die Charismen ins Spiel. Es ist aber bisher eher ein Zufall, wenn eine in Finanzdingen erfahrene Ehrenamtliche auch ihre tiefe musikalische Begabung leben kann. Denn gefragt ist ihre Finanzkompetenz, nicht ihr Klavierspiel. Wie erfüllend wäre es für diese Ehrenamtliche, wenn in ihrer Gemeindetätigkeit beides zusammen klingen könnte. Und möglicherweise hätte ihre Kirchengemeinde auch etwas davon.
Menschen, auch freiwillig Engagierte und gerade die kirchlich Engagierten, suchen neben sinnvollen Tätigkeiten und Geselligkeit auch Lebenssinn. Sie wollen sich mit ihren Fragen an das Leben in die Arbeit einbringen und sich selbst dabei als ganz besondere Person erfahren. Nach christlichem Verständnis sind Menschen mit Charismen gesegnet. Dies sind die Gnadengaben Gottes an die Menschen. Charismen (griech. Charis=Gnade) sind gegeben, damit die Menschen diese in Freiheit einsetzen. Nach evangelischem Verständnis ist diese Freiheit dem Menschen von Gott zugesprochen und von keiner Leistung, von keinen „Werken“ abhängig. Ebenso voraussetzungslos sind die Gaben, die Begabungen der Person anvertraut worden. Gaben haben eine hohe Energie, weil sie nicht für einen bestimmten Zweck gelernt wurden, sondern gewissermaßen als Wesens(eigen)art in uns als Person angelegt wurden. Gaben motivieren Menschen zum Tun, da sie gelebt werden wollen – oder sie liegen brach, was manchmal als Gefühl wahrgenommen wird: Irgendetwas fehlt mir. Die Gaben müssen aber der Person – und wohl auch anderen Menschen (Selbst- und Fremdwahrnehmung) – bewusst sein. In Gabenkursen kann die jeweilige Begabung bewusst gemacht werden. Vielfach kennen die Menschen aber auch bereits ihre Gaben und haben sie bereits eingesetzt, oder sie haben im bisherigen Lebenszusammenhang dazu keine Gelegenheit gefunden. Gaben einzusetzen für Gott, für andere, für sich macht geistlichen Sinn, fördert Religion und damit Lebenssinn. In diesem Bewusstsein müssen Kirchengemeinden dafür sorgen, dass sie ihre Aufgaben mit den Menschen zusammenbringen, denen diese liegen, die zu der Aufgabe passen. Gabenorientiert Ehrenamt ermöglichen heißt: Die Menschen bringen bereits etwas mit, das sie in ein Ehrenamt einbringen möchten.
Als biblisch identifizierbare Gaben nennen Silke und Andreas Obenauer: „Beten, Menschen stärken, Teilen, begeisternd vom Glauben reden, Anpacken, weitsichtig sein, Leiten, sich einmischen, Gottvertrauen, sich für andere einsetzen, organisieren, Lernen ermöglichen, Menschen geistlich begleiten, handwerklich arbeiten, kreativ sein, gastfreundlich sein.“6 Die Aufzählung ließe sich sicher ergänzen und bezieht sich in erster Linie auf diejenigen Aufgaben, die sich innerhalb einer Kirchengemeinde finden lassen und dem Gemeindeleben dienen. In sogenannten „Gabenseminaren“ können sich Menschen auf die Suche nach ihren Gaben machen und sich dort mit persönlichen Fragestellungen beschäftigen: Wofür brennt mein Herz? Was weckt meine Leidenschaft? Welche Menschen, welche Themen interessieren mich? Wo möchte ich meine Gaben einsetzen? Wie viel Zeit habe ich dafür? Möchte ich lieber im Team oder allein aktiv sein? Brauche ich Freiraum oder klare Anweisungen?
Kirchengemeinden können der Ort sein, an dem Menschen sich ihrer Gaben/Begabungen bewusst werden können. Wie kann das gehen?
„Gabenorientierte Mitarbeit denkt von den Gaben der einzelnen Christen her. Somit macht sie die einzelnen Menschen mit ihrer Persönlichkeit zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen; sie nimmt sie in ihrem Person-sein ernst. Bei der Frage, wer an welcher Stelle mitarbeitet, stehen die Personen der Mitarbeitenden mit ihren Begabungen und Interessen im Mittelpunkt. Mit den Mitarbeitenden gemeinsam werden passende Engagementbereiche für sie gesucht, in denen sie ihre Gaben einbringen können.“7
Im Umgang mit Ehrenamtlichen können Kirchengemeinden von anderen Akteuren lernen: Vereine, NGOs und gemeinnützige Unternehmen beschäftigen EhrenamtskoordinatorInnen, die die Förderung des Ehrenamtes intern moderieren.
An einem freiwilligen Engagement beziehungsweise an einem Ehrenamt interessierte Personen besuchen ein Gabenseminar, das von der Kirchengemeinde oder anderen kirchlichen Einrichtungen angeboten wird. Dort ist es möglich, sich mit Aussagen des Neuen Testaments und mit dem paulinischen Gemeindebild auseinanderzusetzen und nach der eigenen Position im „Körper“ der Gemeinde zu suchen. Außerdem geht es um eine angeleitete Erkundung der eigenen, persönlichen Gaben. Die eigene Persönlichkeit wird durch methodisch angeleitete Übungen besser kennengelernt, und mittels eines Gabenfragebogens zur Selbsteinschätzung werden eigene Erfahrungen abgefragt. Auch Rückmeldungen aus Fremdeinschätzungen durch Bekannte werden einbezogen. In der Auswertung können bereits Orte der Mitarbeit und bestimmte Aufgaben besprochen werden. Eine gute Einführung in die Tätigkeit kann ergänzt werden durch Zeiten des Sich-Ausprobierens. Eine geistliche Begleitung in der ehrenamtlichen Tätigkeit ergänzt das freiwillige Engagement.
Gestützt wird diese gemeindliche Gabenorientierung durch geistliche Prozesse der Kirchengemeinde, die nach der geistlichen Orientierung, nach dem Sinn und nach den daraus ableitbaren Aufgaben der Kirchengemeinde fragen. Hier kann die Gabenorientierung eine gegebenenfalls anstehende Gemeindeentwicklung unterstützen.
Ebenso ist es sinnvoll, geeignete Rahmenbedingungen für die Begleitung des Ehrenamtes zu entwickeln. Hier kann von „weltlichen Organisationen“ gelernt werden, die mit Ehrenamtlichen arbeiten. Dort finden sich mittlerweile häufig sogenannte Ehrenamtskoordinatoren. Deren Aufgabe ist es, die Förderung des Ehrenamtes systematisch voranzubringen. Dies bedeutet, einen kontinuierlichen Prozess der Gewinnung, Einbindung, Begleitung und Verabschiedung von Ehrenamtlichen und freiwillig Engagierten in der Kirchengemeinde umzusetzen. Für die Gewinnung von Ehrenamtlichen und Freiwilligen werden die unterschiedlichen Aufgaben für ehrenamtliche Tätigkeiten in der Gemeinde kleinteilig beschrieben und daraus „Stellenanzeigen“ entwickelt. Diese lassen sich gut in der Werbung um Ehrenamtliche einsetzen. Oft ist es möglich, ein bisher von einer Person mit ziemlichem Zeitaufwand umgesetztes Ehrenamt durch eine „Aufgabenkritik“ in mehrere einzelne, aber aufeinander bezogene Tätigkeiten umzubauen. Dies bewirkt, dass sich möglicherweise ein Team von mehreren Menschen für die Erfüllung einer Aufgabe zusammenschließt. Dadurch werden Einzelne (zeitlich) entlastet.
In einigen Landeskirchen sind die Prozesse und Aufgaben der Ehrenamtskoordination mittlerweile gut beschrieben. So gibt es in der Hannoverschen Landeskirche zwölf definierte Standards für die Begleitung des Ehrenamtes, sodass sich an einem Ehrenamt Interessierte darauf verlassen können, dass sie dabei gut begleitet werden.
Abschließend kann man festhalten, dass Kirchengemeinden der Ort sein können, an dem Menschen sich ihrer Gaben, ihrer Begabungen bewusst werden. Denn: Kirchengemeinden haben als Gemeinde Jesu Christi eine geistliche Dimension und einen geistlichen Auftrag. Ein Aspekt dieses Auftrags sollte sein, den einzelnen Menschen, den Gemeindemitgliedern, aber auch Außenstehenden diese Gaben bewusst zu machen. Es ist sinnvoll, wenn Kirchengemeinden die Gaben und Begabungen der Christinnen und Christen – und anderer Mitmenschen – fördern und dazu einzuladen, diese zum Wohl der Gemeinde (aber auch andernorts) einzubringen. Unterstützung in der Gabenorientierung können Kirchengemeinden in den Methoden der Ehrenamtskoordination finden.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit gelingt es dann, weitere zu einem Engagement bereite Menschen anzusprechen und zu gewinnen.
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